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Im Fokus: Weltläden im Wandel

von Hans-Christoph Bill, FHB Nord / Mobile Bildung e.V.

Etwas über die „Lage der Weltläden in Deutschland“ zu schreiben, ist gefährlich und vermessen – zu unterschiedlich sind die Entwicklungen, weniger von Region zu Region, sondern eher von Weltladen zu Weltladen. Trotzdem sollen hier mit einigen Schlagworten wichtige Zukunftsthemen skizziert werden. Schon während der Corona-Pandemie reagierten die Weltladen-Gruppen sehr unterschiedlich auf diese Herausforderung. Für viele kirchliche Fair-Handels-Gruppen und einige kleinere, oft veralterte Läden war es der Anlass, ihre Arbeit zu beenden. Andere Läden machten mehr Umsatz als vorher, weil sie zum Teil der einzige Geschenkeladen waren, der während der Pandemie geöffnet haben durfte (wegen des hohen Lebensmittelanteils im Sortiment). Die Ernüchterung kam dann hinterher, als die Kaufkraft infolge des Ukraine-Krieges und der steigenden Inflation spürbar zurückging. Seit Beginn der Pandemie im März 2020 sind die Weltläden also im Dauerstresstest. Und auf den reagieren die Gruppen sehr unterschiedlich – viele auch mit verständlicher Erschöpfung.

 

Herausforderung Überalterung

Wer vor der Pandemie schon versäumt hatte, den Laden attraktiv und zukunftsfähig aufzustellen und auch für Nachwuchs in der Weltladengruppe zu sorgen, der hat es jetzt – nach drei Jahren erschöpfender Arbeit – erst Recht schwer, neue Mitstreiter:innen zu finden, die zeitgemäße Antworten auf die veränderten Zeiten geben können. Einige Weltladengruppen werden also in den nächsten Jahren ihre Arbeit (oft nach Jahrzehnten des Engagements) beenden. Diesen Gruppen einen positiven Blick auf das Erreichte zu ermöglichen, wird eine zunehmende Aufgabe der Fair-Handels-Beratung sein. Gleichzeitig gehen so viele hochqualifizierte „Boomer“ in den nächsten Jahren in Rente wie nie zuvor. Den Weltladen für diese Zielgruppe als einen attraktiven Ort für die ehrenamtliche Arbeit anzubieten, erfordert Veränderungen nach innen (Teamorganisation) und außen (Kommunikation). Dies gilt insbesondere auch für die Vorstandsarbeit.

 

Herausforderung Kommunikation

Die Kommunikationsgewohnheiten der potentiellen Kund:innen und potentiellen, jüngeren Mitarbeiter:innen haben sich geändert – sowohl was die Kanäle angeht (Internet, Social Media) als auch die Art der Ansprache (echte Geschichten sind wichtiger als belehrende Information). Jüngere Menschen können z.B. mit dem Begriff „Fairer Handel“ wenig, mit dem Schlagwort „Dekolonisierung“ aber deutlich mehr anfangen. Der Weltladen-Dachverband und die Fair-Handels-Beratung reagieren mit fertigen Kommunikationspaketen offline und online, Beratungen zur Online-Kommunikation und dem Projekt „Weltläden neu erzählen“. Es wird sicherlich Weltläden geben, die trotz Beratungs- und Dienstleistungsangeboten „auf dem Silbertablett“ diese Entwicklung nicht mitgehen wollen oder können. Über kurz oder lang werden diese Läden vermutlich einen Bedeutungsverlust erleiden.

 

Herausforderung Innenstadt

In vielen Kommunen ist die Innenstadt für zahlreiche Verbraucher:innen nicht mehr attraktiv als Einkaufsort – eine Entwicklung, auf die Weltläden zunächst kaum reagieren können. Wenn Städte versuchen, den sterbenden Innenstädten neues Leben einzuhauchen, so versuchen sie oft, diesen Lagen zu mehr Erlebnis- und Aufenthaltsqualität zu verhelfen. Wenn Weltläden hier attraktive Partner sein wollen, verlagert sich die Arbeit oft vom Verkaufen hin zur „Event- und Erlebnisorganisation“. Zur Kunst, einen schönen Laden mit ansprechendem Sortiment zu gestalten, gesellt sich dann noch die Aufgabe, in regelmäßigen Veranstaltungen (Verkostungen, Upcycling-Workshops, Kochkurse, Kleidertauschabende etc.) über gerechten Welthandel zu informieren. Dieser zusätzlichen Herausforderung werden nur Läden mit einer klaren Zielvorstellung, einem gut aufgestellten Team und einer strukturierten Organisation gewachsen sein.

 

Herausforderung Vernetzung

Der Aufgabe einer sozial-ökologischen Transformation lässt sich nur mit vielen Organisationen gemeinsam glaubhaft und wirkungsvoll näherkommen. Oft werden Weltläden als „natürliche“ Partner in solchen Prozessen übersehen oder als altmodisch angesehen, so dass es aktive, weltoffene und in Vernetzung denkende Gruppen braucht, um der Pionierrolle für eine gerechtere Gesellschaft weiterhin gerecht zu werden. Auch hier werden nur Läden mit klaren Zielen und guten Organisationsstrukturen den gestiegenen Anforderungen gerecht werden können.

 

Fazit

Das Modell des attraktiven „Fachgeschäfts für Fairen Handel“ ist immer noch aktuell. Zahlreiche Beispiele in ganz Deutschland verdeutlichen, dass professionell aufgestellte Weltläden erfolgreich geführt werden können. Die Anforderungen an das Know-how, die professionelle Umsetzung und die Organisationsentwicklung steigen aber weiterhin und erfordern eine gute Beratung und Begleitung. Gleichzeitig können sich Weltläden spezialisieren: Als Vernetzungsknoten für eine sozial-ökologische Transformation, als „Event-Weltladen“ zur Attraktivitätssteigerung der Innenstadt oder als wichtige Social Media-Stimme können sich Weltläden auch jenseits eines professionellen Ladenkonzepts weiterentwickeln. Die veränderten Rahmenbedingungen sowie neue Chancen und Herausforderungen erfordern eine gut aufgestellte Beratungslandschaft mit gut kooperierenden Akteuren. Es gibt viel zu tun!

 

erschienen im Jahresbericht der Fair-Handels-Beratung 2023
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