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Zuhören, Verlernen, Neu-Lernen und Handeln

Der Internationale Fair Trade Summit ist das weltweit größte Treffen des Fairen Handels: über 400 Fair Traders, mehr als 50 Referent:innen, rund 25 Vorträge und Workshops, eine Ausstellung zu Fair Fashion, eine politische Aktion und unzählige inspirierende Gespräche.

Rückblick und Ausblick von Magdalena Gassner, Fair-Handels-Beratung Nord

Vom 23. bis 26. August 2022 luden die Organisator:innen des International Fair Trade Summit ins Kulturquartier Silent Green in Berlin ein. Die World Fair Trade Organization (WFTO) in Kooperation mit dem Forum Fairer Handel (FFH) gab der globalen Gemeinschaft der Fair Trade Unternehmen mit Pionier:innen der ethischen Wirtschaft sowie Vertreter:innen von gleichgesinnten sozialen und ökologischen Bewegungen den Raum: Gemeinsam wurden Fragen des zukunftsfähigen Wirtschaftens und Chancen einer notwendigen sozial-ökologischen Transformation diskutiert. Wo also beginnen, um denjenigen, die nicht dabei waren, ein Stück der gegenwärtigen Fair-Handels-Bewegung und der inspirierenden Aufbruchsstimmung für unsere Zukunft zu vermitteln?! Am besten beginnen wir bei den großen Fragen – Fragen, die sich nicht nur Weltläden in Deutschland stellen.

Die nächste Generation des Fairen Handels – Zuhören I

Roopa Mehta, die Präsidentin der World Fair Trade Organization (Foto: WFTO – Michael Sarcauga/Digital Lions)

„Wir sehen mit großer Sorge, dass die konventionelle Wirtschaft in weiten Teilen für den kurzfristigen Profit und den Unternehmenswert weiter auf die Ausbeutung von Mensch und Umwelt setzt“, sagt Roopa Mehta, Präsidentin der WFTO. „Mehr denn je brauchen wir Fairen Handel und ein nachhaltiges Wirtschaftssystem“, betont Roopa. Doch wie funktioniert Wandel? Wie erreichen wir Jüngere? Wie können wir sichtbarer werden? Und was hat das mit Kommunikation und Technologie zu tun?

Um mehr und jüngere Menschen zu erreichen, muss sich die Art unserer Kommunikation verändern. Wir müssen eine stärkere Bindung zwischen Handelspartner:innen und Kund:innen aufbauen, indem wir noch klarer zeigen, wie groß der positive Einfluss eines jeden Produkts im Weltladen auf Mensch und Umwelt ist. Um neue Kund:innen zu erreichen, müssen wir erklären können, wie unsere Produkte hergestellt werden und welche Wirkung der Faire Handel für unsere Handelspartner:innen hat. Dabei müssen wir klar und verständlich bleiben. Es ist nicht die Komplexität, sondern das Verstehen, was uns anschlussfähig macht. Eine Möglichkeit könnte eine noch sichtbarere Rückverfolgbarkeit der Lieferkette sein. Die Fair-Handels-Unternehmen Selyn aus Sri Lanka und Sabahar aus Äthiopien setzen dabei auf Blockchain-Technologie und QR-Codes. Sie wollen die positiven Wirkungen des Fairen Handels in ihren Gemeinschaften durch Technologie messbarer und verstehbarer machen – um sie auch zu maximieren.

Die Blockchain ist eine Datenbank mit unabhängig verifizierten Transaktionen, die nach der Validierung nicht mehr verändert werden können. Diese Datenbank ist öffentlich einsehbar und durch das angewandte Verfahren vor Manipulation geschützt. Alle Schritte der Lieferkette – Beschaffungs-, Herstellungs-, Design- und Vertriebsprozesse – sind dort verzeichnet. Das sorgt für Transparenz in der gesamten Lieferkette. Im Geschäft können so die Kund:innen durch Scannen eines QR-Codes am Produkt den Weg eines Produktes zurückverfolgen. Die positive Wirkung auf Mensch und Umwelt kann so noch sichtbarer werden – und überzeugen. Und warum machen die Fair-Handels-Unternehmen das? „Weil wir es können“, sagt Selyna Peiris. Im Fairen Handel leben wir bereits die radikale Transparenz. Es ist unsere Stärke, die wir nutzen sollten. Blockchain ist zwar nicht unumstritten, dennoch öffnet diese Idee eine neue Möglichkeit des Erzählens über Fairen Handel und seine Wirkungen.

Zudem sollten wir uns im Fairen Handel nicht verstecken, wenn bspw. Debatten um Nachhaltigkeit geführt werden und wir uns wieder wundern, warum wir nicht vorkommen. Wir sollten diese Diskussionen selbst vorantreiben – und dafür braucht es Mut, Gemeinschaft und Zusammenarbeit mit anderen. Jette Ladiges, die neue Geschäftsführerin von El Puente, sprach sich dafür aus im Fairen Handel weiter zu wachsen. Denn: „Wir können mit Degrowth beginnen, wenn uns die Welt gehört.“ Also lasst uns bei uns beginnen, um gemeinsam die Welt zu verändern. Zusammenarbeit – auf wirtschaftlicher und politischer Ebene – macht uns stärker und lauter. Dazu müssen wir auch über unseren eigenen Tellerrand schauen.

Die Rednerinnen des Podiums sind die nächste Generation der Fair-Handels-Unternehmerinnen (v.l.n.r.): Kathy Marshall (Sabahar), Lisa Jaspers (Folkdays), Jette Ladiges (El Puente) und Selyna Peiris (Selyn) (Foto: WFTO – Michael Sarcauga/Digital Lions)

Die Rolle der Weltläden – Zuhören II

Und das war gerade einmal das erste Podium des International Fair Trade Summits. Wie also weiter als Weltladen? Wie die aktuellen Herausforderungen meistern? Dazu lohnt ein internationaler Blick, wie ihn das Podium „Weltläden in Europa und den USA – nachhaltige und innovative Ideen für das Rückgrat des Fairen Handels“ ermöglichte. Der Einblick in die jeweiligen Dachorganisationen der Weltläden in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland macht deutlich, dass wir alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen: Kosten- und Preissteigerungen, Personalmangel, der Spagat zwischen Haupt- und Ehrenamtlichkeit und konkurrierende Märkte. Das Podium zeigte darüber hinaus, dass Lösungen in der Vernetzung untereinander und in der Zusammenarbeit mit anderen liegen. Aber genauso in der Vereinfachung in unseren Botschaften und unseres Sortiments – Stichwort „Visual Merchandising“ – sowie eine größere Offenheit für Modernisierung und Professionalisierung sind notwendig um das Ziel, neue Verbindungen zu Interessierten und Kund:innen für den Fairen Handel zu schaffen, erreichen zu können. „Fairer Handel braucht Idealismus und Pragmatismus, um einen Systemwechsel herbeizuführen“, betont Roopa.

Wer den Blick hier weiten möchte, der:m empfehle ich das Projekt „Beyond Beautiful“ der WFTO, eine kuratierte Sammlung von Kunsthandwerk. Das Projekt fördert die Arbeit und die Geschichten von Kunsthandwerker:innen und bietet Einzelhändler:innen und Importeur:innen eine neue Beschaffungsmöglichkeit.

Projekt „beyond beautiful“ (Foto: WFTO – Michael Sarcauga/Digital Lions)

Die Frage „Was wäre die radikale Veränderung, die die Weltläden in eine strahlende, nachhaltige Zukunft führen würde?“ wurde auf dem Podium leider nur angerissen. Das hält uns aber nicht davon ab, weiter darüber zu sprechen und offen für Innovationen zu sein. Die Fair-Handels-Beratung bietet dafür bspw. das Erfolgsfaktoren-Modell an.

Redner:innen, mit denen wir im Gespräch bleiben sollten, sind u.a. (v.l.n.r.) Joanna Pollard (BAFTS Fair Trade Network UK), Chris Solt (Fair Trade Federation, US), Lisa Serero (Fédération Artisans du Monde, France), Steffen Weber (Weltladen-Dachverband) und alle Weltläden bundesweit und international (Foto: WFTO – Michael Sarcauga/Digital Lions)

Wie sprechen wir? – Verlernen & Neu-Lernen

Fairer Handel ist ein Aspekt von globaler Gerechtigkeit. Die Klimakrise ist eine Krise der Gerechtigkeit und Handel muss dabei ein Instrument sein, das wir gestalten und formen. Hier liegen unsere Kompetenz und unsere Rolle. Um unsere Ziele als Weltläden zu erreichen, habe ich als Fair-Handels-Beraterin mit dem Schwerpunkt „Online Kommunikation“ bei dem Summit ein besonderes Augenmerk auf E-Commerce, digitale Strategien und Storytelling gelegt.

Für diese Themen möchte ich euch besonders Manpreet Kaur Kalra von Art of Citizenry empfehlen. Sie ist Beraterin für sozialen Einfluss und Gerechtigkeit, Antirassismus-Pädagogin, Expertin für digitales Marketing und Podcasterin, die sich für die Dekolonisierung des Geschichtenerzählens einsetzt. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf die Verflechtung von wirtschaftlicher, sozialer und klimatischer Gerechtigkeit innerhalb nachhaltiger globaler Entwicklungsinitiativen. Sie arbeitet mit wirkungsorientierten Organisationen und Sozialunternehmen zusammen, um die Inklusion in allen Bereichen zu fördern.

Mit dem Blick der „kulturellen Bescheidenheit“ hilft sie beim Aufbau inklusiver Arbeitskulturen, die gerechte, antirassistische Wirkungsansätze fördern. Manpreet ist davon überzeugt, dass wir die Welt und unsere Beziehungen darin nur dann wiederherstellen können, wenn wir die Systeme dekolonisieren, in denen wir uns täglich bewegen. Ich möchte euch zwei Instrumente von Manpreet an die Hand geben, mit denen wir unser Sprechen im Weltladen, über den Fairen Handel und unsere Handelspartner:innen, reflektieren können.

  1. Fragen, die wir uns stellen sollten:
    1. Klingt mein Unternehmen wie ein „Retter für die Armen“?
    2. Mache ich pauschale Aussagen über eine Gemeinschaft oder Kultur?
    3. Habe ich eine Zustimmung zur Weitergabe der Informationen oder Bilder, die ich teile?
    4. Fördere ich kulturelle Hegemonie? Reproduziere ich kulturelle Machtstrukturen?
  2. Die eigene Herangehensweise ändern durch:
    1. ZUHÖREN: Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, muss anerkannt werden, die Antwort nicht zu haben. Wir müssen zuhören und den Gemeinschaften, die am meisten von den Problemen betroffen sind, die Führung überlassen.
    2. VERLERNEN von internalisierten kolonialen Machtstrukturen.
    3. MITGESTALTEN: Bündnisse bilden und zusammenarbeiten, um nachhaltige Lösungen für positive Wirkungen zu schaffen.
    4. UMVERTEILEN von Macht. Die Repräsentation im Unternehmen verbessern. Wir müssen anerkennen, dass weiß-dominierte Räume jahrelang von systemischen Ungerechtigkeiten profitiert haben und weiterhin profitieren.
    5. NEU-ERZÄHLEN: Die eigenen Worte ändern. Es gibt keinen Platz für weiße Retter:innen und Erlösertum!

Und was jetzt? – Handeln!

„Fortschritt ist ein Prozess“, sagt Manpreet. Wir sollten nicht nur zuhören, verlernen und neu-lernen, sondern genauso ins Handeln kommen. Denn eine unserer großen Fragen zu Beginn war: Wie werden wir sichtbarer? Dazu müssen wir unsere Vision und unsere Ziele als Weltladen nachschärfen. Manpreet empfiehlt Sozialunternehmen, an der eigenen Markengeschichte zu arbeiten. Und unsere Marke sowie die Identität unserer Bewegung ist der Weltladen. In der Kommunikation im Team und mit Kund:innen sollte uns deshalb klar sein: Was ist unsere Botschaft? Was ist unsere Erzählung? Und warum ist unsere Botschaft für unser Gegenüber überhaupt relevant? Wir müssen dabei spezifisch sein und unser Alleinstellungsmerkmal hervorheben. Ich denke, ihr wisst, was euch ausmacht. Aber weiß das jede:r in eurem Team? Sprecht ihr von derselben Vision und habt ihr dieselben Ziele? Was sind die drei Werte eures Weltladens?

Wir müssen unser Auftreten als Weltladen schärfen und dabei auch unsere Kund:innen besser verstehen lernen. Als ein Instrument, um die Sichtbarkeit des eigenen Weltladens zu erhöhen und die Bindung zu unseren Kund:innen zu stärken, kann ein Newsletter dienen. „Bringt eure Kund:innen auf eure Mailing-Listen. Denn die sind euer Kapital“, betont Manpreet. Ihr braucht Unterstützung für die Weiterentwicklung eures Newsletters oder ihr möchtet damit durchstarten? Dann meldet euch gern bei eurer Fair-Handels-Beratung.

Und das war nur ein kleiner Einblick in das große Familientreffens des Fairen Handels. Es wurde genauso intensiv über Klimagerechtigkeit, faire Bezahlung, Logistik, Faire Mode, die Rolle der Politik, Zusammenarbeit mit großen Modeunternehmen, Vernetzung mit anderen sozial-ökologischen Bewegungen und vieles mehr gesprochen. Ich hoffe, ich konnte euch zumindest einen kleinen Eindruck vermitteln und freue mich, wenn ihr Lust bekommen habt, noch mehr zu erfahren. Kontaktiert dazu eure Fair-Handels-Berater:innen und lasst uns gemeinsam nach neuen Lösungen unserer Herausforderungen suchen. Vielleicht beginnen wir bei unseren Denkweisen. Ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass wir gemeinsam die Regeln und die Wurzeln des Handels ändern können – und das lustvoll in der Gemeinschaft. Denn wir tun es bereits. Seid ihr dabei?

 

(Foto: WFTO – Michael Sarcauga/Digital Lions)